Geist-Wissen

Fritz Riemann: Grundformen der Angst

Viele Menschen erwünschen vom Yoga zu Recht und mit guten Ergebnissen eine Linderung oder Befreiung von körperlichen Schmerzen/Beeinträchtigungen. Ebenso aber spüren viele nach einiger Zeit, dass das System auch dazu einlädt, psychisches oder seelisches Leid zu überwinden, um Glück zu erfahren:

lokāḥ samastāḥ sukhino-bhavaṁtu

ein altes Mantra: Möge Harmonie und Glück für alle Welten sein. Mögen alle Wesen der Welt glücklich sein. Mögen alle Wesen Glück und Harmonie erfahren

Ängste machen äng (eng), schränken unsere Möglichkeiten ein. Wenn sie akut oder latent wirksam sind, bringen sie uns in die Flucht (Ablenkung, Süchte…), in den Rückzug (Regression) oder aber wir stagnieren. Wie schön, dass wir uns toller Inspirationen bedienen dürfen.

Diese kleine Arbeit über Fitz Riemanns “Grundformen der Angst” möge dir Appetit machen, deine Angst zu verstehen und vor allem zu spüren, dass du damit niemals alleine bist. Viel Freude beim Lesen und vielleicht auch beim weiterforschen.

  • über die Anerkennung des Leidens (Buddhismus und Psychotherapie)
  • zwei Wege, mit dem Leiden umzugehen (Durcharbeiten, Loslassen)
  • 4 Herausforderungen und 4 Grundängste
  • positiv gedreht: 4 Begabungen

über die Anerkennung des Leidens

Die erste der vier edlen Wahrheiten Buddhas beschreibt das Leid als einen unausweichlichen Aspekt unseres Lebens.

„Das Leben im Daseinskreislauf ist leidvoll: Geburt ist Leiden, Altern ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden; Kummer, Lamentieren, Schmerz und Verzweiflung sind Leiden. Gesellschaft mit dem Ungeliebten ist Leiden, das Gewünschte nicht zu bekommen ist Leiden. Kurz, die fünf Aneignungen sind Leiden.”

aus: Dalai Lama: Die Vier Edlen Wahrheiten: Die Grundlage buddhistischer Praxis, Fischer-Verlag 2014

Und natürlich beschäftigt sich auch die Psychotherapie mit dem Leiden von Menschen als eine Grunderfahrung. Fritz Riemann beschreibt in seinem Buch “Grundformen der Angst” (1961) die Unausweichlichkeit der Angst (als eine Form des Leidens), die sich zwangsläufig aus der Entwicklungsfähigkeit des Menschen ergibt:

“Entwicklung, Erwachsen-werden und Reifen haben also offenbar viel zu tun mit Angstüberwindung, und jedes Alter hat seine ihm entsprechenden Reifungsschritte mit den dazugehörenden Ängsten, die gemeistert werden müssen, wenn der Schritt gelingen soll.”

Fritz Riemann: Grundformen der Angst. Ernst-Reinhard-Verlag

zwei Wege, mit dem Leiden umzugehen

In der buddhistischen Lehre – so scheint es mir – geht es vor allem darum die Anhaftung an den 5 Skandhas (Eindrücke des Körpers, der Gefühle…, vgl. die 5 Koshas) zu überwinden: LOSLASSEN. Wer das Wesen der Gefühle und Gedankenkonstrukte erkennt (transzendiert), wird den Schleier (Maya – die Kraft der Täuschung) lüften und frei sein. Leid und Angst sind in dieser Betrachtung nicht wesentlich und nur ein Teil unserer irdischen/physischen Existenz.

Besonders in der Tiefenpsychologie, aus dieser Tradition kommt Fritz Riemann, geht es aber um das anschauen und inhaltliche durcharbeiten von Leid, von Ängsten mit denen wir gesund und ausgleichend umgehen können. Psychologen würden vermutlich manchmal davor warnen, das die östlichen philosphischen/religiösen Wege in die Verdrängung von Emotionen führen können und dann als Schatten uns doch nicht loslassen.

Vermutlich sind beide Wege wichtig: Verstehen/Durcharbeiten und Loslassen. Vielleicht bedingt das Eine auch das Andere: Wenn ich es verstanden habe, kann ich es loslassen.

4 Herausforderungen und 4 Grundängste – 4 Persönlichkeitsstrukturen

  • Individualität versus Gemeinschaft: Ein heranwachsender Mensch steht vor einer ersten paradoxen Aufgabe: Einerseits gibt es da den Drang, ein individueller und einzigartiger Mensch zu werden, andererseits ruft es ihn dazu, ein Teil einer Gruppe zu sein. Es entstehen zwei Grundängste: Die Angst davor, sich selbst zu verlieren und die Angst davor, die Gemeinschaft zu verlieren. Die übergroße Angst vor der Hingabe führt zum schizoiden Charakter, die Angst vor der Selbstwerdung führt im Extremfall zur Depression.
  • Veränderung versus Dauerhaftigkeit: Ebenso steht der Mensch zwischen dem Bedürfnis nach Veränderung einserseits und nach der Dauerhaftigkeit andererseits. Es kann eine Angst vor der Veränderung entstehen, die den zwanghaften Persönlichkeitstyp hervorbringt und eine Angst vor der Notwendigkeit/Dauerhaftigkeit, die zur hysterischen Persönlichkeit führt.

positiv gewendet: 4 Begabungen

Riemann beschreibt ganz eindrücklich das Erleben von schizoiden, depressiven und hysterischen und zwanghaften Persönlichkeitstypen, die Ursachen und die Probleme, die sich in der Liebesfähigkeit ergeben.

Wir können das Ganze auch positiv drehen und von 4 Begabungen sprechen, um das Feld der Angst zu verlassen:

  • Die Begabung, bewusst ein einzigartiges, wertvolles Individuum zu sein.
  • Die Begabung, bewusst ein wertvoller Beitrag in der Gemeinschaft und in den persönlichen Beziehungen zu sein.
  • Die Begabung, bewusst Verlässliches und Dauerhaftes zu erschaffen.
  • Die Begabung, bewusst Neues zu erleben und Veränderung zu wagen.

Einladung zur Arbeit mit diesem Wissen

Selbst wenn wir alle diese 4 Pole kennen und auch Anteile an den entsprechenden “Verhärtungen” haben, hat es bei dir beim Lesen vielleicht irgendwo besonders eingehakt und hier schließlich die Einladung, selbst weiter zu lesen und mit anderen drüber zu reden. Du kannst uns vor und nach den Yogakursen gerne darauf ansprechen.

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Inspirationen Geist, Inspirationen Ethik, Inspirationen Energie, Lars

Weiblich&Männlich – Beziehungsgedanken

  • John Eldredge: Der ungezähmte Mann, Brunnen-Verlag
  • Raphael M. Bonelli: Frauen brauchen Männer. Und umgekehrt, Kösel-Verlag
  • Björn Süfke: Männer, erfindet euch neu – was es heißt, ein Mann zu sein, Mosaik-Verlag
  • Andrea und Veith Lindau: Königin und Samurai. Wenn Frau und Mann erwachen, Kailash-Verlag

eine Betrachtung jenseits von schwarz und weiß

Ja, es gibt schwarz und weiß – ganz selten nur reines schwarz oder reines weiß – und es gibt ganz besonders viele Schattierungen dazwischen. Wenn wir hier über weiblich und männlich nachdenken, legen wir keinen Menschen fest, beschreiben aber Eigenschaften, die durch die Forschung mittlerweile durchaus als typisch benannt werden.

Selbstredend hat jeder Mensch beide Anteile in ganz einzigartigen Mischungsverhältnissen.

Als Mann und Frau schuf er ihn (den Menschen).

Genesis 1, Bibel

Vom Nutzen der Betrachtung

Mögen diese Betrachtungen zur gegenseitigen Wertschätzung der beiden Aspekte führen und den Umgang mit der Unterschiedlichkeit erleichtern.

Ich denke, dass die Frage nach Weiblichkeit und Männlichkeit für unsere eigene Entwicklung wichtig ist, für die Gestaltung der Beziehung zwischen Mann und Frau und für die Frage des Umgangs mit uns anvertrauten. Besonders meine ich hier unsere eigenen Kinder. Aber auch Kindergärten und Schulen sollten bewusst mit diesem Thema umgehen.

Forschung und Bücher

Die längste Zeit meines Lebens habe ich mich nicht in das Thema Männlichkeit und Weiblichkeit vertieft, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten irgendwie wahrgenommen und über die Beziehung dieser Möglichkeiten (in Begegnung mit anderen Menschen oder innerhalb der eigenen Person) wenig nachgedacht. Tatsächlich empfand ich da so einige Hindernisse, wie sie auch Björn Süfke im Bereich der psychologischen Forschung beschreibt: Man will ja nicht einseitig sein, Klischees bedienen, das Eine gegen das Andere ausspielen. So gibt es aber wunderbare Bücher zum Thema, die weder biologistisch in die Ecke drängen, noch Unterschiede verdrängen. Der Wiener Psychiater Raphael M. Bonelli beschreibt sehr schön, wie beide Seiten – sich ihrer Begabungen bewusst – sich in gelingenden Beziehungen ergänzen können. Gleichzeitig legt er auch ganz eindrücklich durch viele Fallberichte dar, wie nahe der Weg zum Pathologischen ist, wenn die eine oder andere Seite sich isoliert entwickelt. Für die gemeinsame Entfaltung von Männlichkeit und Weiblichkeit werben auch Andrea und Veith Lindau, die in ihrem Buch diesen gemeinsamen Akt die “Co-Creation” nennen. “Am Du wird der Mensch zum Ich” (Martin Buber) – Erst an der Begegnung mit der Frau entdeckt der Mann den umfassenden Sinn seines Talents zur Männlichkeit. Und für Frauen gilt das Gleiche umgekehrt. (Bonelli) Im Anerkennen und Vertrauen in die jeweils andere Begabung wird unserer Generation, besonders den “Millenials,” eine große Unsicherheit und Widersprüchlichkeit attestiert.

Wenngleich sich kein Setting schaffen lässt, in dem die sozio-kulturellen Bedingungen gänzlich ausgeblendet werden können, benennt die psychologische Forschung mit großer Sicherheit typisches Geschlechterverhalten. Bonelli grenzt diese Ergebnisse streng von Vorurteilen ab und rehabilitiert den Begriff des Stereotyps – viele Stereotypen konnten empirisch nachgewiesen werden. Das Bild, das wir von uns mehr oder weniger bewusst von Männern und Frauen machen, ist also gar nicht so unscharf, wie wir es so oft befürchten.

Der Psychater beschreibt die menschliche Konstitution mit den griechischen Begriffen Soma (Leib), Thymos (Lebenskraft, Gemütslage) und Noos (geistiges Erfassen). – die ersten drei Koshas in der Yogaphilosophie benennen die selben Ebenen (Körper, Emotionen, Gedanken). Anhand dieser drei Begriffe entfaltet er die männlichen und weiblichen Begabungen, arbeitet aber auch deren Schattenseiten heraus:

Er stellt dar, dass sogar auch die medizinische Forschung mittlerweile männliche und weibliche Körper endlich einzeln untersucht (die Körperzellen und Organfunktionen unterscheiden sich sehr: Ein weiblicher Organismus reagiert auf Medikamente anders, als ein männlicher. Ein weiblicher Schlaganfall äußert sich anders, als der gut erforschte männliche.

Bonelli fasst auch Erkenntnisse der Psychologie zusammen und beschreibt, dass auch die Gehirne von Männern und Frauen anders funktionieren und das Gefühlsleben sich unterscheidet. Frauen bedienen eher die weiße Substanz, Männer eher die graue Substanz: Frauen nehmen assoziativ war und lösen so Probleme, Männer nehmen eher spezielle Details war und haben bei der Bearbeitung von Problemen eher den “Tunnelblick”. Beide Arten haben da Vorteile. So hat man mittlerweile auch bei der Entwicklung von IQ-Tests dazugelernt und eher “weibliche” Aufgabentypen hinein genommen. Bislang kamen die Designs eher den männlichen Fähigkeiten entgegen.

ein energetischer Zugang mit ähnlichen Feststellungen

Energetisch betrachtet scheint mir das weibliche Prinzip von unten nach oben zu fließen (Muladhara aufwärts) mit den entsprechenden Qualitäten und das männliche von oben nach unten (Sahasrara abwärts):

  1. Mudladhara: Sicherheit, Närend, Akzenptanz (Erde)
  2. Svadhisthana: Kreativität, Beziehung, Genuss (Wasser)
  3. Manipura: Ich-Stärke, Selbstbewusstsein, Willens- und Durchsetzungskraft (Feuer)
  4. Anahata: Liebe, Mitgefühl, Hingabe (Wasser)
  5. Vishudda: Kommunikation, Wahrheit, Zuverlässigkeit (Luft)
  6. Ajna: Erkenntnis, Ratio, Konzentrationsfähigkeit (Raum)
  7. Sahasrara: Spiritualität, Öffnung für “höheres”

Wenn man diese Eigenschaften nun von unten nach oben (weiblich) und danach von oben nach unten liest (männlich), kommt man zu Schwerpunkten in der Beschreibung der Geschlechter, wie sie auch Bonelli referiert:

  • Das männliche Prinzip ist eher rational, denkt gerne in Systemen und folgt dem Prinzip “Stärke”.
  • Das weibliche Prinzip steht mehr mit dem konkreten Leben, wie es ist, in Kontakt, denkt gerne assoziativ und folgt dem Prinzip “Fürsorge”.

Erstaunlich, wie nah uns die aktuelle Forschung (Stand 2019) zu den Aussagen der alten Lehren (auch Yin/Yang) bringt. Nochmal: Niemand ist nur so oder nur so. Wir sehen aber, dass Männer und Frauen sich oft anders verhalten, anders wahrnehmen, interpretieren und sich mit verschiedenen Dingen gerne beschäftigen.

Begegnung von weiblich und männlich

Bonelli beschreibt sehr schön, wie beide Geschlechter sich bewusst begegnen und bereichern können, sich gegenseitig ergänzen. Energetisch gesehen ist der Treffpunkt der Geschlechter im Anahata-Chakra. Es liegt genau in der Mitte der Energieströme.

Im Yoga gibt es (im Individuum) das gleiche Ziel: Die Begegnung und Erkenntnis von Energie und Bewusstsein, von Brahman und Atman, von Kundalini und Shiva.

Fortbildungen | Workshops

Yoga für mehr Energie

Energie umgibt uns: Wind, Wasser, Sonne, Blitz und Donner. Energie ist in uns: Lebensfreude, Tanz, Kreativität, Leben, Atem, Kraft…

Energie ist mal schleppend (blockiert), mal überschwänglich (fließend und ungerichtet) und mal ausgewogen (fließend und ausgerichtet) und du erlebst das auf körperlicher, emotionaler und intellektueller Ebene.

In den bekannten östlichen Lehren beschäftigt man sich traditionell schon lange mit diesem Phänomen (China: Chi oder Qi, Indien: Prana) und sie zielen auch im Bereich der Heilkunst auf diese Lebensenergie. Psychische oder physische Erkrankungen werden weniger auf der Ebene des Körpers oder der Psyche betrachtet, sondern auf der Ebene der Energie.

Dem Yoga liegt ein sehr ausgefeiltes Konzept von Energie zugrunde, mit dem wir immer auch arbeiten: Prana (Energie), Nadis (Energieleitbahnen) und Chakren (Verdichtungspunkte von Energie im Körper).

Seele

Sat Chid Ananda – Vedanta Philosophie

In der yogischen Wirklichkeit der Vedanta-Philosophie ist unsere Seele untrennbar von der “großen Seele” und direkt mit “dem großen Ozean”, der “Liebe”, der “Energie” oder mit “Gott” oder mit “Brahman” verschmolzen. Unsere Seele ist Teil der Nicht-Dualität. Diese Quelle hat auch der Theologe Nikolaus von Kues als die “Coincidentia Oppositorum” bezeichnet, als den Zusammenfall aller Gegensätze in die eine Kausalität, aus der sich der dualistische Kosmos entwickelte.

Damit die Seele die Welt erfahren kann, betritt sie das Reich der materiellen Welt in einem Körper. Nur über die Sinne kann sie mit dieser Welt in Kontakt sein. Diese Schöpfung ist der Bereich der Dualitäten, wie sie im chinesischen Yin&Yang beschrieben ist: männlich/weiblich, hell/dunkel, weich/hart, freudvoll/leidvoll. Hier erlebt die Seele die Manifestationen des Urklangs OM, der die Materie von den Gesteinen/Mineralien über die Pflanzen- bis in die Tierwelt erlebt. Als Mensch erlebt sie sich als eine vom Ursprung getrennte Individualität.

Im Zustand der Erleuchtung oder der Verbindung (Yoga) wird die Seele sich ihrer Verbindung zur Kausalität, zu Gott bewusst und kehrt heim. Sie erkennt die Verbundenheit aller Seelen in diesem einen großen Ursprung. Um diesen Zustand zu erreichen, lösen wir uns von allen Identifikationen: Körper, Gefühle, Gedanken, Konzepte…